
Deutschlandfunk Kultur Länderreport
- Gesendet am 21.10.2022, 13:08 Uhr
- Länge 09:13 Minuten
- Autor Alexander Vent im Gespräch mit Andrea Gerk
- Sendung Länderreport
Zwischen den Grünen und der FDP hat Olaf Scholz nun entschieden alle 3 aktiven Atomkraftwerke die laufen noch bis April weiter.
Sie gehen also in diesen sogenannten Streckbetrieb. Das Bundeskabinett hat den Plan auch bereits gebilligt, jetzt muss der Gesetzentwurf noch in den Bundestag und den Bundesrat. Dass das durchgeht und abgenickt wird, das gilt als ziemlich wahrscheinlich.
Betroffen davon das sind die Länder Bayern, Baden-Württemberg und auch das Emsland in Niedersachsen.
Vor allem dort sind viele Menschen über diese Nachricht aus dem Kanzleramt gar nicht im „Imused“ und das hat gleich mehrere Gründe.


Darüber hat DLF-Kultur – Andrea Gerk mit Alexander Fendt gesprochen.
Er ist seit vielen Jahren aktiv in der Anti-Atomkraft-Bewegung. Er lebt in Lingen da steht auch das AKW und von ihm wollte DLF-Kultur – Andrea Gerk natürlich erst einmal wissen wie sehr er sich über diese Entscheidung von Olaf Scholz eigentlich geärgert hat, denn das AKW in Emsland sollte ja eigentlich am 31. Dezember vom Netz gehen.
Alexander Fendt:
Das anfängliche Entsetzen darüber und das muss man wirklich sagen, war das Entsetzen, dass der ja jetzt seit über 10 Jahren geplanter Atomausstieg schon wieder aufgeweicht wurde, beziehungsweise verschoben wurde. Dieses anfängliche Entsetzen darüber ist jetzt in den letzten Tagen eigentlich auch einer gewissen Verständnislosigkeit gewichen.
Verständnislosigkeit darüber dass wir uns fragen, welchen Sinn hat überhaupt dieser Weiterbetrieb des AKW.
Andrea Gerk:
Die Rede ist ja, das ist eben ein Beitrag für unsere Versorgungssicherheit. Stimmt denn dieses Argument aus ihrer Sicht dann gar nicht?
Alexander Fendt:
Stimmt überhaupt gar nicht! Da muss man einfach mal ein kleines bisschen drauf schauen, wie denn der Energiemarkt eigentlich bei uns in Deutschland funktioniert, beziehungsweise welchen Beitrag das Atomkraftwerk in Lingen tatsächlich zur Versorgung mit Strom beitragen kann. Wenn man da mal weiter rein schaut dann sieht man, dass das was das AKW Lingen jetzt mehr an Strom erzeugen soll bis Mitte April, nur ein Bruchteil dessen ist, was tatsächlich zur Energieversorgung in Deutschland nötig ist. Das sind, was allein den Strom betrifft, unter 0,5%, die Strommenge die hier erzeugt wird ist also vernachlässigbar gering. Wenn wir jetzt allerdings nicht nur von der Stromversorgung reden sondern von der Energieversorgung und das ist ja im Grunde auch zentrales Thema im Konflikt mit Russland und mit unserer Gasversorgung, auch dann ist tatsächlich die Bedeutung des AKW Emsland an der Gesamtenergieversorgung Deutschlands unter einem Promille und das ist wirklich verschwindend gering! Da kann als Argument also tatsächlich in keiner Weise zählen, dass man sagt „Wir brauchen das AKW Emsland“.
Andrea Gerk:
Sie sagen also kein Mehrwert für die Energieversorgung.
Julia Hamburg, die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Niedersachsen, sagt sogar: „nicht nur dass es keine Mehrwert ist, es ist sozusagen auch ein negativer Wert für die Windkraftanlagen die ihren Strom ins Netz einspeisen“. Man müsste nämlich dann den Windrädern den Wind wegnehmen damit man eben dem Strom vom AKW Emsland ins Netz einspeisen kann. Das klingt irgendwie paradox!



Alexander Fendt:
Ja ja, das ist ja noch ein ganz wichtiger Punkt.
Tatsächlich ist es so: Wenn sagen wir mal an einem ganz durchschnittlich windigen Tag in Deutschland, in Norddeutschland die Stromproduktion durch Wind sehr groß ist, also hier in den Offshore Wind Anlagen viel Wind Strom erzeugt wir. Ist in diesem Moment der Windstrom sehr günstig!
Nun kann in diesem Moment ein anderes europäisches Land, wie zum Beispiel Italien, sagen: Wir kaufen jetzt diesen günstigen Windstrom.
Das Problem daran ist aber, dass dieser Strom aus Norddeutschland gar nicht nach Italien weitergeleitet werden kann!
Italien kauft den Strom, aber er kann nicht geliefert werden weil diese Verbindung von Nord nach Süd nicht da ist.
Die Folge daraus wäre, dass man in Süddeutschland dann, um den Strom liefern zu können, Atomkraftwerke oder Kohlekraftwerke anschmeißt, die dann den Strom produzieren und nach Italien transportieren!
Da allerdings dann, in dem Moment wo man zusätzlich im Süden weitere Kraftwerke anwirft, das Netz überlastet wird muss man im nächsten Schritt, die Windkraftanlagen im Norden abriegeln und das ist natürlich ein absolutes Paradox, das sagen sie schon ganz richtig!
Also, die dann vorhandene Wind-Energie ist günstig und in der Folge davon muss man die Windkraftanlagen abriegeln.
Übrigens hat das einen weiteren Effekt: die Windkraftanlagenbetreiber werden ja trotzdem bezahlt. Das heißt, wir regeln die Windkraftanlagen runter, aber wir zahlen trotzdem an die Betreiber den Strom den sie dann eben gerade nicht produzieren können.
Das ist völlig verrückt!!!
Da müsste man sicherlich die Gesetze des europäischen Strommarktes mal erneuern. Es gibt ja auch schon seit längerem Forderungen, dass man auch den deutschen Strommarkt in verschiedene Zonen einteilt, zum Beispiel in 3 unterschiedliche Strompreiszonen. Damit könnte man diesem Effekt entgegenwirken.
Andrea Gerk:
Sie haben es eben schon angesprochen, nämlich dass der Atommeiler bei ihnen in Lingen ja schon längst in diesem sogenannten Streckbetrieb ist, weil die Brennstäbe so ausgelutscht sind. Wie steht es da, aus ihrer Sicht, überhaupt um die Sicherheit ihres AK WS?
Alexander Fendt:
Das wird noch ein weiterer Aspekt um den wir uns natürlich Gedanken machen. Das nicht erst seit Montag, nachdem Olaf Scholz die Entscheidung ausgesprochen hat.
Tatsächlich sind in den letzten Jahresüberprüfungen auch im AKW Emsland altersbedingte Schäden, entdeckt worden, an Dampferzeuger und Heizrohren. Da geht es also um Rost, Umrisse und Spannungsrisskorrosion. Also ganz sensible Bereiche des Atomkraftwerks. Im Grunde genau an der Schnittstelle zwischen dem hochradioaktiven inneren Bereich des Atomkraftwerks und der Umwelt. Die Befürchtung ist da, dass es da zu weiteren Schäden kommen kann, die dann letzten Endes auch dazu führen, dass größere Mengen an Radioaktivität in die Umwelt gelangen könnten, beziehungsweise das sind Schäden die tatsächlich auch bis hin zu einer Kernschmelze führen könnten.
Andrea Gerk:
Und was sagt dann, wenn sie jetzt all diese Aspekte sich nochmal vor Augen führen, was sagt denn dann ihre AKW Bewegung, die Anti Akw Bewegung vor Ort?
Augen zu und durch bis April? – Oder planen sie jetzt Aktionen?
Alexander Fendt:
Eines bleibt ganz klar, das Atomkraftwerk in Lingen, wie auch die anderen Atomkraftwerke im Süden der Republik, müssen spätestens zum 31.12. Stillgelegt werden.
Der Nutzen den diese Atomkraftwerke bringen ist absolut gering. Das Risiko, dass der Weiterbetrieb mit sich bringt, ist entsprechend hoch vorhanden.
Von daher ist unsere Meinung, die AKW müssen, wie es eben auch 2011, nach der Katastrophe von Fukushima, im Konsens beschlossen wurde und wie es auch tatsächlich immer noch der Stand der Gesetzgebung ist zum 31.12. Abgeschaltet werden.
Andrea Gerk:
Noch aber, jetzt ehrlich gesagt, sieht es nicht danach aus. Also planen sie Aktionen?
Alexander Fendt: :
Ja sicherlich, wir planen Aktionen, sind uns im Moment noch nicht so ganz einig, ob das in Form von zivilem Ungehorsam sein soll, ob wir vielleicht über Informations Veranstaltungen starten, irgendwo in der Innenstadt, ob wir Presse wirksame Aktionen machen.
Aber das wird jetzt in den nächsten Tagen auch von unserer Gruppe entschieden.
Unsere große Sorge ist: da jetzt die Entscheidung nichts mit Rationalität zu tun hatte, wir brauchen dieses Atomkraftwerk nicht, man trotzdem entschieden hat es weiterlaufen zu lassen, alles aufhin des großen politischen Druck, der im Februar ,März oder im Apri l2023 auch nicht geringer werden wird, dass man dann im Frühjahr als nächstes hingeht und diesen jetzt getroffenen Entschluss schon wieder in Frage stellt!
Wir hören ja jetzt schon von weiteren Forderungen seitens der FDP!
Also dieser politische Druck wird weitergehen, da sind wir uns sicher
Andrea Gerk:
Was ist denn ihr Eindruck zu der Meinung in der allgemeinen Bevölkerung? Ticken die so wie sie oder sagen die ist in Ordnung so?
Alexander Fendt:
Ich glaube dass in den vergangenen Wochen und Monaten einfach die Ängste sehr gefüttert wurden. Die Ängste vor einem kalten Winter, die Ängste vor einer kalten Wohnung, dass wir frieren müssen. Die Angst davor, dass die Wirtschaft irgendwann völlig zum Erliegen kommen könnte. Das sind Ängste denen man im Moment mit rationalen Argumenten schlecht, sehr schlecht, begegnen kann.
Das zeigt sich ganz einfach in der Reaktion der Menschen auf der Straße, die jetzt sagen:“ Na ja gut, auch damit wir jetzt nicht mehr das Gas von Putin beziehen müssen“.
Andrea Gerk:
Herr Fendt, vielen Dank für Ihre Argumente